Das Finale einer besonderen Beziehung

Ingeborg Tonn starb im Herbst 2020 an Krebs. Die letzten drei Monate ihres Lebens verbrachte sie im Heilig-Geist-Hospiz in Unna. Sohn Markus bezog ein Besucherzimmer und war fast immer an der Seite seiner Mutter. Im Interview spricht er über das, was in dieser Zeit wichtig war. 

Herr Tonn, Sie sind den letzten Weg mit Ihrer Mutter gemeinsam gegangen, haben neun Wochen sogar mit im Hospiz gelebt. Was hilft und stärkt in dieser besonderen Situation?

Für meine Mutter war es das wichtigste, dass ich bei ihr sein konnte. Für mich auch! Seit mein Vater vor bereits 20 Jahren gestorben ist, hatten meine Mutter und ich eine besonders tiefe und innige Beziehung, über die Mutter-Sohn-Ebene hinaus. So trafen wir uns zum Beispiel regelmäßig mittwochs zum „Muttitag“, bekochten uns gegenseitig und tauschten aus, was uns auf der Seele lag. Krankheit und Sterben wurden immer mehr zu Lebzeiten ein Thema. Eine Pflege meiner Mutter war aufgrund des Krankheitsbildes und der schweren Nebenwirkungen, die die Chemotherapie verursacht hat, zuhause nicht denkbar. Das Heilig-Geist-Hospiz hat uns die Chance geboten, bestmögliche Pflege und Betreuung sicherzustellen und gleichzeitig unser Beisammensein bis zuletzt zu ermöglichen.

Also bedeutete die Entscheidung für das Hospiz auch eine Erleichterung?

Ja, in diesem Fall war das so. Obwohl die Entscheidung, eine Therapie endgültig abzubrechen, natürlich auch eine enorme mentale Belastung mit sich bringt. Meine Mutter hat sehr unter der Krebsbehandlung gelitten. Sie war körperlich am Ende. Allein der Transport ins Hospiz stellte eine Tortur für sie dar. Sie ist dann hier noch einmal zu Kräften gekommen. Wenn einem nicht viel Zeit bleibt, ist das ein überaus kostbares Geschenk.

Wie sah ein Tag im Hospiz für Sie beide aus?

Ich komme aus Hamm und bin die ersten drei Wochen noch täglich gependelt, dann aber ganz ins Hospiz gezogen, um meine Mutter so wenig wie möglich alleine zu lassen. Da ich für meinen Arbeitgeber so oder so aus dem Homeoffice arbeite, konnte ich das problemlos einrichten. Wir haben zusammen Musik gehört, Gitarre gespielt und gesungen, Filme geschaut, Zeitschriften gelesen und ich habe auch bei der Pflege assistiert und das Essen bereitet. Sogar unser Ritual des „Muttitages“ konnten wir immer mittwochs zusammen zelebrieren. Da gab es mal Sekt oder Bier! Wir haben jeden Tag zu etwas ganz Besonderem gemacht, zu einem Fest des Lebens. Es war eine sehr intensive, innige Zeit, für die ich überaus dankbar bin.

Das hört sich nach einem sehr selbstbestimmten und abwechslungsreichen Tagesablauf an.

Ja, auch das macht das Hospiz zu einem besonderen Ort. Gut leben bis zuletzt, so viel Lebensqualität wie möglich – das sind hier keine bloßen Floskeln. Die Strukturen werden den Bedürfnissen des Gastes angepasst, nicht umgekehrt. Häufig sind es Kleinigkeiten, die dazu beitragen, die verbleibende Zeit so gut wie möglich zu gestalten. Das Hier und Jetzt gewinnt an Bedeutung. Lachs zum Frühstück statt Quark und Marmelade – meine Mutter hat es genossen. Ebenso die schönen Spätsommertage auf der Terrasse des Hauses oder die gemeinsame Pizza von der Pizzeria nebenan.

 

Es gibt gleichzeitig Ängste und Sorgen, die das Leben im Hospiz begleiten.

Natürlich gibt es diese Stunden der Angst, manchmal auch der Wut angesichts zunehmender Hilflosigkeit und des bevorstehenden Todes. Meine Mutter hat immer gesund gelebt, zum Beispiel sehr auf ihre Ernährung geachtet. Warum ausgerechnet ich? Wie wird er sein, der letzte Moment? Diese Fragen kommen dann. Wir haben offen darüber geredet, wann immer meine Mutter das wollte. Das fiel ihr bei mir leichter als bei anderen. Sie wusste, dass ich mich aufgrund der selbst erfahrenen Pflegebedürftigkeit nach einem Schlaganfall besser in sie hineinversetzen konnte.  Miteinander sprechen, Gefühle zulassen, Krankheit und Sterben nicht zu einem Tabu machen – das ist ganz wichtig.

Inwieweit konnte hier auch das Hospiz-Team helfen?

Sowohl meine Mutter als auch ich konnten mit unseren Sorgen und Ängsten immer zu den Mitarbeitern kommen. Es war Tag und Nacht jemand für uns da. Egal ob es um Schmerzlinderung oder den Wunsch nach einer besonderen Mahlzeit ging. Das ganze Team gab meiner Mutter und mir viel Sicherheit im Umgang mit der Situation und niemals das Gefühl zur Last zu fallen. Das Hospiz ist nicht zuletzt deshalb zu einem echten Zuhause geworden. Wir haben es wirklich so genannt.

Wie erinnern Sie sich an die letzten Stunden Ihrer Mutter?

Ich sage immer, meine Mutter ist im Aquarium gestorben. Sie hat die bunten Fische, die mit Hilfe einer Videoprojektion über die Wände ihres Zimmers geschwommen sind, geliebt. Sie haben sie entspannt, von Ängsten abgelenkt, ihr Freude und Ruhe gegeben – bis zuletzt. Es ist ein eindrückliches Beispiel für die Angebote, die ein Hospiz so besonders und wertvoll machen.

Was nehmen Sie nach dieser intensiven Zeit im Hospiz mit auf Ihren weiteren Weg?

 

Das Zurückbleiben wird durch den gemeinsamen Weg des Abschieds bestimmt und vollendet. Man kann nichts nachholen. Ich bin deshalb dankbar für die Nähe, die meine Mutter zugelassen hat. Es war das Finale einer ganz besonderen Beziehung für uns beide. Ich habe viel über meine Mutter und über mich selbst gelernt. Und ich habe gelernt, wie glücklich wir in Deutschland sein können, dass wir die Hospizbewegung haben. Sie weist einen Weg, der ganz viel Leid nimmt, Trost spendet und der Lebensfreude Raum gibt, statt auf Biegen und Brechen medizinische Wunder vollbringen zu wollen. Einrichtungen wie das Heilig-Geist-Hospiz in Unna sind unersetzlich und verdienen jede Unterstützung. Lieben Dank dem Team für die Fürsorge und die bereichernde Lebenszeit im Hospiz von meiner ganzen Familie.