Ursula Wiesenhöfer engagiert sich ehrenamtlich im Hospiz

„Es gibt kein wertvolleres Geschenk als Zeit“

Ursula Wiesenhöfer ist Anfang 70 und arbeitet einmal in der Woche ehrenamtlich im Heilig-Geist-Hospiz. Wenn sie davon erzählt, kommt fast immer die Frage, ob das nicht zu belastend und traurig sei. „Das Hospiz ist kein Haus des Todes“, antwortet die ausgebildete Krankenschwester dann. „Unsere Gäste kommen, um gut zu leben – bis zuletzt.“

Gäste, nicht Patienten, werden die Bewohner genannt, die für kurze oder auch längere Zeit im Hospiz sind, wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Die meisten haben eine lange Krankengeschichte und belastende Therapien hinter sich. „Wenn sie hier einziehen, wissen sie, dass wir ihr Leben nicht erhalten können. Was sie sich wünschen, ist Lebensqualität“, so Ursula Wiesenhöfer.

Sie gehört zu den älteren Ehrenamtlichen im Hospiz-Team, die jüngste ist gerade 40 geworden. Alle haben eine spezielle Ausbildung in ihrer Freizeit gemacht – den so genannten Befähigungskurs zum Sterbebegleiter, der sich über ein dreiviertel Jahr erstreckt. „Man muss die Bereitschaft mitbringen, sich mit sich selbst und den Themen Sterben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen“, betont Ursula Wiesenhöfer. Was sie ganz konkret gelernt hat? „Vor allem sich einzufühlen. Ein Mensch an seinem Lebensende hat andere Bedürfnisse, ein anderes Zeitgefühl. Es geht darum Zeichen zu verstehen und zu geben, zuzuhören, zu warten und ein Gespür dafür zu entwickeln, was der Sterbende in seiner individuellen Situation gerade braucht.“ Ebenfalls wichtig: „Wir lernen, uns selbst im Auge zu haben. Nicht mehr zu geben, als wir geben können. Niemandem hilft es hier, wenn ich gestresst oder überfordert bin.“

Es ist mittlerweile 18 Jahre her, dass Ursula Wiesenhöfer den Kurs absolviert hat. Seitdem engagiert sie sich in der Hospizarbeit, zunächst neben ihrem Beruf, nun im Ruhestand. Als Krankenschwester auf einer gynäkologischen Station in einem Dortmunder Krankenhaus ist sie immer wieder schwerstkranken Frauen begegnet, denen sie in der Hektik des Klinikalltags nicht die Zeit geben konnte, die eigentlich notwendig gewesen wäre, um sie mit ihren Sorgen und Ängsten nicht allein zu lassen. Das war einer der entscheidenden Gründe, warum die moderne Hospizbewegung ihr Interesse gefunden hat. „Hier gibt es genug Raum für Gespräche, für die Erfüllung besonderer Wünsche, für herzliche Gemeinschaft und privaten Rückzug gleichermaßen“, sagt sie.

Im Heilig-Geist-Hospiz ist das Tag für Tag erfahrbar – gerade auch Dank des Engagements der Ehrenamtlichen. „Wir hören Musik, wir spielen Mensch ärgere dich nicht, wir sitzen auf der Terrasse und genießen die Sonne, wir backen Kuchen“, erzählt Ursula Wiesenhöfer. „Wir reden zusammen. Wir schweigen zusammen. Manche Gäste sind dankbar für Körperkontakt und halten meine Hand. Andere möchten das nicht.“

Ebenso vielfältig wie das Leben und die Menschen sind die Aufgaben der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu tun gibt es immer etwas – egal ob der Tisch gedeckt werden muss oder ein Gast sich einen Spaziergang oder einen Gottesdienstbesuch wünscht. „Es ist ja nicht so, dass sterbenskranke Menschen nur im Bett liegen. Neulich war ich mit einer Dame in der Stadt, um eine Schüssel zu kaufen. Sie wollte ihre Strümpfe selbst waschen.“

Dieser Wunsch nach so viel Normalität wie möglich ist es auch, der einen Mann strahlen ließ, als der Duft von frischer Bratwurst durch die Räume zog – sein Lieblingsgericht. „Am nächsten Tag ist er gestorben. Er ist friedlich eingeschlafen.“

Es gibt diese Sternstunden im Hospiz, wo man spürt, das Sterben ist gut so, wie es geschieht. Ursula Wiesenhöfer erinnert sich an einen Gast, der auf der Terrasse im Schein der Sonne starb, inmitten der Gemeinschaft, in der er sich geborgen fühlte. Sie ist dankbar für diese Erfahrungen, diese einmaligen würdevollen Momente – und dass sie gelernt hat, dass es kein wertvolleres Geschenk als Zeit gibt, dass man einem Menschen machen kann.

Da sind andere Erlebnisse, die belasten. Der Tod hat viele Gesichter, nicht nur das sanfte Hinübergleiten, sondern auch den Kampf um den letzten Atemzug, das nicht Abschied nehmen wollen, ungelöste Konflikte, überforderte Angehörige. Ursula Wiesenhöfer ist Teil eines Netzwerkes, das ihr in diesen Situationen hilft. Im Rahmen regelmäßig stattfindender Supervisionen kann sie sich mit dem Team austauschen. Auch die Gespräche mit anderen Ehrenamtlichen, zum Teil zu echten Freunden geworden, tun gut. Darüber hinaus gibt es zwei Pflegekräfte, die für die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Mentorinnen jederzeit ansprechbar sind. Welche Fähigkeiten sollte man selbst mitbringen, wenn man sich im Hospiz engagieren möchte? „Man kann diese Arbeit nur tun, wenn es einem selbst gut geht und man Spaß am Leben hat“, sagt Ursula Wiesenhöfer. „Denn im Hospiz geht es um das Leben vor dem Tod. Das Sterben ist Teil des Lebens, ich begreife das hier mehr und mehr.“